Wie sich der Mensch der Gaben GOttes nicht überheben, sondern in herzlicher Demut fürsichtiglich wandeln soll.
Göttliche Stimme:
Mein Kind, es ist dir sehr heilsam und nützlich, wenn du die Gnade GOttes, so dir in der Andacht und Besserung der Religionsausübung widerfähret, nicht sonderlich kund giebest, noch dich deswegen erhebest, oder viel davon pralest, und dir grosse Sachen darob einbildest; sondern vielmehr dich dabey gering achtest, und fürchtest, ob sie einem ganz Unwürdigen gegeben sey. Du must dich auf die Empfindung der Andacht nicht gänzlich verlassen, weil du dich gar leicht verändern und das Widerspel erfahren kannst. Darum gedencke, so du in der Gnade stehest, wie jämmerlich und elend du seyn werdest, wo dir die Gnade benommen würde.
Denn das Wachstum der rechten Religionsausübung und geistlichen Lebens bestehet nicht so wohl darinnen, wenn du viel trostreiche Gnade von GOtt erlangest sondern vielmehr, wo du es demüthiglich, mit grosser Geduld und Gelassenheit, verträgest, so dir die Gnade entzogen wird; dergestalt, daß du deßwegen in fleißigem und andächtigem Gebet nicht träge werdest, noch auch deine Religiöse Schuldigkeit und Amts-Wercke gegen deinen Nächsten unterlasset, sondern Im Gegentheil, so viel du vermagst und verstehest, mit desto grösserem Fleiß vollbringest, und wewgen der Bangigkeit und Angst des Herzens nichts an dir oder an andern versämest.
Viele Menschen sind also gesinnet, daß, wenn ihnen eine Sache nicht also gleich von statten gehet, sie zur hand nachläßig, träge und ungeduldig werden. Aber der Weg des Menschen stehet nicht in seiner Gewalt, sondern in der Hand GOttes, der kan geben und trösten, wenn, wie viel, und wem er will, wie es ihm gefällt, und weiter wird nichts daraus...
S. 147 THOMAE a KEMPIS 1740 nChr.
vs.2.3